Transkribiert und geschrieben von Sophia Hess, 08.11.2019
Für Couturista traf ich Nate, einen ausgesprochen facettenreichen Menschen, der nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich bunt ist. Einerseits extrovertiert und auffällig, andererseits besonnen und weise lernte ich Nate während unseres fast zweistündigen Interviews kennen, welches sich ganz und gar nicht wie ein Arbeitstermin, sondern viel mehr wie ein beflügelndes Gespräch mit einem guten Weißwein und einem noch besseren Freund anfühlte. Neben seinem Modestil, der gewiss in keine Kategorie passt, sprachen wir ebenfalls über seine Gender-Identität, wofür Nate auch hier kein Label mehr benötigt. Dennoch hat ihm der verhältnismäßig junge Begriff „Non-Binary-Gender“ dazu verholfen, sich selbst zu finden.
Entgegen der gesellschaftlich weit verbreiteten Annahme, es gebe lediglich die beiden binären Geschlechter Mann und Frau, herrscht nicht nur in der LGBTQ-Community, sondern unlängst auch in den Sozialwissenschaften der Konsens: Geschlecht ist so divers wie der Mensch selbst. Nate erzählte mir im Interview von seinem täglichen Kampf, seine Position als Mensch in der Gesellschaft zu finden. Auch in Berlin ist er nicht vor alltäglichen Anfeindungen oder gar Körperverletzungen gefeit. Er könne, wie er sagt, auch ein einfaches Leben führen, indem er seine Gender-Identität nicht nach außen trage. Doch Nate will sich nicht verstecken. Er ist längst ein Repräsentant der LGBTQ-Community geworden und hat es sich zur Aufgabe gemacht, sich für eine bessere Zukunft für all die Personen einzusetzen, die nicht in eine binäre und heterosexuelle Geschlechterrolle passen (wollen).
Ich möchte mich generell nicht festlegen und bin immer super offen für verschiedene Stile und Mode-Epochen. Im Moment finde ich das Barrock-Thema spannend. Diese Zeit bewundere ich sehr – etwa die Französische Revolution – dieser dramatische Effekt! Modisch gehören dazu Rüschen, weite und dramatische Schnitte. Der Schichtenlook ist dabei auch ein großes Thema. Zweitens finde ich momentan alles super, was mit Leder, Cowboy, Western zu tun hat. Eines meiner Lieblingsteile ist eine mit Fransen besetzte Lederjacke, die ich eigentlich immer trage. Dieser Cowboy-Look mit Leder, Boots und Hemd ist sehr männlich, wie ich finde. Dort versuche ich auch das Androgyne mit reinzubringen. Außerdem finde ich alles toll, was nach „Trailer Park“ aussieht. Das ist meine größte Fashion-Inspiration seit Jahren. Alles, was nach Trash und 2000er Jahren aussieht, finde ich super. Es wirkt so, als hätte man sich eben mal irgendetwas übergeworfen.
Ich kann das total verstehen. Es kommt sehr darauf an, wo du wohnst. Na klar, wenn du in Berlin wohnst und dann total overdressed bist, kommen am Tag zehn Leute zu dir, die es total feiern und geil finden. Aber dafür kommen auch 30 Leute, die dich echt hart beleidigen. Es kommt natürlich darauf an, was du konkret anhast. Die meisten Freunde von mir, die einen sehr extrovertierten Style haben, sind täglich mit Beleidigungen konfrontiert.
Ja, ganz klar! Ich habe beispielsweise eine Freundin, die in der Goth-Szene unterwegs ist. Sie wird in der Öffentlichkeit ständig beleidigt. Insgesamt musst du leider schon eine extrem krasse Confidence haben, um mit solchen Beleidigungen aufgrund deines Aussehens umzugehen. Ich glaube, dieses Selbstbewusstsein kommt von ganz allein, wenn man sich selbst und seinen eigenen Style gefunden hat. Ich hatte bis vor einem Jahr selbst noch einen anderen Style; habe Carhartt getragen, weil es bequem und nicht so auffällig, aber trotzdem ein bisschen stylisch war. Ich hatte schon immer coole und auffällige Klamotten zuhause, aber hatte ehrlich gesagt Angst vor den Meinungen anderer, wenn ich diese Sachen draußen tragen würde. Aber im Grunde ist es so: Kein anderer Mensch hat das Recht darüber, über mich zu entscheiden und darüber, wie ich mich anziehe.
Irgendwann habe ich angefangen, Sachen zu tragen, die ich bei Shootings anhatte oder die ich in den sozialen Medien gesehen hatte. Ich habe gemerkt, dass ich mich noch nie so wohl in irgendwelchen Klamotten gefühlt habe. Das hat schon ´ne Zeit gedauert, bis ich mich wirklich getraut habe, diese Klamotten draußen anzuziehen. Wenn dich etwas stört und du etwas verändern willst, dann mach es auch! Ich bekam zu diesem Zeitpunkt auch einen komplett neuen Freundeskreis, weil ich mit der Uni fertig war und angefangen habe, in der Fashion-Branche zu arbeiten. Dadurch bin ich recht schnell zu entsprechenden Events gekommen und habe neue Leute kennengelernt. Ich habe diese Leute und deren Selbstbewusstsein gesehen und ich habe so viel Positives von ihnen bekommen. Dann war ich an dem Punkt: scheiß drauf, mach’s einfach!
Das war ein langer Prozess. Das Thema der Gender-Identität kam bei mir vor etwa fünf Jahren auf. Es dauert extrem lang, sich selbst seine Identität einzugestehen und stolz darauf zu sein. Vor zwei Jahren hat sich meine Identität richtig gefestigt - ich bin gay und bin stolz darauf! Anfangs war mir das alles nicht so klar. Ich wusste nicht so ganz, ob ich schwul bin oder doch einfach gern Frauenklamotten trage. Ich habe damals angefangen, mich in der Drag-Szene auszuprobieren, um einerseits gay sein zu können, aber andererseits auch diese „female illusion“ auszuleben. Aber ich habe gemerkt, dass das nicht so meins war, weil ich weniger eine Rolle spielen, sondern näher bei mir sein wollte. Ich wollte also keine Frau, sondern mich darstellen, aber schon in einer Kunstform. Ich hatte das Gefühl, in der Öffentlichkeit nicht so akzeptiert zu werden, als wenn ich in einer Gay-Bar mit crazy Klamotten und Make-Up eine Performance mache. Ich war mir unsicher, ob ich mich männlich oder weiblich fühle. Dann habe ich mich gefragt, ob ich vielleicht Transgender bin. Ich wusste nicht, ob ich vielleicht doch in einem falschen Körper war, obwohl das vorher eigentlich kein Thema für mich war. Dieser Prozess hat sehr lange, also ca. zwei Jahre gedauert, um das alles herauszufinden.
Ich bin danach in die Queer-Szene reingerutscht, was jedoch auch nicht das Richtige war. Es war ganz lustig - ich war mit einer Freundin ab und zu auf Tinder unterwegs, wo es irgendwann auch eine Non-Binary-Kategorie als Geschlechtsangabe gab. Zuerst habe ich Non-Binary-Gender ehrlich gesagt total missverstanden. Ich dachte, es heißt, dass man sich von allem attraktiv angezogen fühlt. Es kam irgendwann zufällig dazu, dass ich mich mit Freunden von einer Freundin von mir die ganze Nacht unterhalten habe, die selber non-binary waren. Sie haben mir so viel erzählt, sodass ich angefangen habe, mir viele Gedanken darüber zu machen. Ich bin mehr und mehr dahinter gekommen, dass eigentlich alle Punkte auf mich zutreffen. Und irgendwann war ich an einem Punkt, an dem ich mir es selber eingestanden habe, dass ich mich als Non-Binary identifiziere. Ich bin super froh, dass es einen Begriff dafür gibt und dass es generell in der LGBTQ-Szene Begriffe gibt. In den letzten fünf Jahren ist viel entstanden, auch der Non-Binary Begriff.
Heute gibt es relativ viele Repräsentant*innen in der Öffentlichkeit. Wenn ich zurückdenke an mein junges ich in meinem (Schweizer) Dorf, sah das Ganze noch ganz anders aus. Heute sind Drags oder LGBTQ-geoutete Leute offen in der Unterhaltungs- und Modelbranche. Auch gibt es viele Repräsentant*innen in den sozialen Medien. Jede*r kann auf Wikipedia nachlesen und sich selbst fragen, ob dieser oder jene Punkt auf einen zutrifft. Das finde ich gut, vor allem wenn du auf der Suche nach deiner Identität bist. Jetzt bin ich allerdings an einem Punkt, an dem solche Labels nicht mehr wichtig für mich sind. Sie werden von der Gesellschaft konstruiert. Ich bin proud, ein Teil davon zu sein und repräsentiere das auch gerne nach Außen, aber ich persönlich brauche das nicht mehr. Für mich persönlich ist meine Sexualität und meine Gender-Identität meins, also privat. Viele Leute denken ja, dass Non-Binary-Personen nicht mit einem Pronomen angesprochen werden wollen – mir ist das komplett egal! Ich sag immer: call me he she it... whatever! Ich weiß wer ich bin. Ich möchte nur, dass jede Gender-Form irgendwann mal normal ist. Ich denke nicht, dass ich das selber noch mitbekommen werde, deshalb ist es das einzige was ich jetzt machen kann, mich für dieses Thema einzusetzen und dafür einzustehen.
Ich muss mich grundlegend oft erklären. Wenn ich neue Leute kennenlerne, dann kommen oft viele Fragen. Letztens war ich auf einem Geburtstag, wo mich dann ältere Gäste aus Höflichkeit gefragt haben, ob ich männlich oder weiblich bin. Das ist okay, solange Leute fragen anstatt Vorurteile zu entwickeln. Viele sind sich direkt sicher, dass ich schwul bin. Und damit geht auch oft das Vorurteil einher, dass ich HIV-positiv bin. Schon allein wenn du mit bunten und sehr engen Klamotten unterwegs bist, denken die Leute, dass du sexuell sehr aktiv und eben auch HIV-positiv bist. Diese Frage kommt wirklich sehr oft. Außerdem wirst du ganz oft in die Gay-Kategorien „Top“ oder „Bottom“ gesteckt, eben je nachdem wie du aussiehst. Ich denke mir dann auch so: „was interessiert es dich?“
Selbst in der Gay- und Queer-Community gibt es Schubladendenken und Diskriminierung untereinander. Wenn du beispielsweise älter und behaarter bist, bist du „Bear“; wenn du jung und dünn bist, bist du „Twink“. Das sind Labels innerhalb der Gay-Community. Bei Grindr und den ganzen Dating-Plattformen kannst du dich in Kategorien wie Twink, Bear, Butch und viele andere Begriffe einordnen. Leute beurteilen dich sexuell, also deine sexuelle Position, durch dein Äußerliches. Das ist etwas, was ich nicht ganz verstehe. Viele Leute in der Gay-Community stehen auch auf das typisch männliche Bild und weniger auf das Androgyne oder Non-Binary. Ich finde es total okay, wenn man einen bestimmten Typ hat und sexuell einfach nicht auf bestimmte Typen steht, aber wieso sollte man deshalb andere beleidigen oder diskriminieren – und das in einer Community, die selbst ständig beleidigt und diffamiert wird? Ich glaube, sie erfreuen sich daran, sich auch mal selber in einer Machtposition zu sehen.
Viele sagen zu mir, dass ich jetzt privilegiert bin, weil ich in Berlin lebe. Und meine Antwort ist: Ja, das stimmt, ich habe viele Gleichgesinnte kennengelernt. Aber hier in Berlin wird man genauso geroasted wie im Dorf, nur ist der einzige Unterschied, dass du gleichzeitig auch Gleichgesinnte hast. Die Hater sind anteilsmäßig immer noch mehr als die Leute, die dich feiern – und zwar überall. Das würden Außenstehende nur nicht vermuten, weil die meisten in ihrer Bubble unterwegs sind und man auch durch Social-Media das Gefühl bekommt, dass alle den Queer-Lifestyle feiern. Klar, auf einem Instagram-Event ist alles super; man feiert zusammen und alles ist toll aber auch ich fahre danach mit der U-Bahn nach Hause und werde beleidigt oder wenn es ganz schlimm kommt sogar geschlagen. Das darf man nicht vergessen; die Schattenseiten sind groß.
Früher war ich sehr laut. Ich habe teilweise angefangen, mit den Leuten laut zu diskutieren. Heute bin ich gerne mit Kopfhörern unterwegs, um damit für meine eigene Sicherheit zu sorgen und möglichem Stress aus dem Weg zu gehen. Vor allem hier in Neukölln muss man schon aufpassen, nicht in eine gewaltsame Situation zu kommen. Wenn ich blöd angemacht werde, meide ich es mittlerweile, steige einfach aus der Bahn aus oder gehe einen Umweg. Ich ignoriere es einfach. Die schlimmste Erfahrung die ich je hatte war auf dem Nachhauseweg von einer Influencer*innen-Veranstaltung. Auf dem S-Bahnhof wurde ich von einer Gruppe heftig beleidigt und an die Wand gedrückt. Die waren völlig besoffen oder auf Drugs und hatten einfach Spaß daran, mich fertig zu machen. Ich wurde dann körperlich attackiert sodass ich zum Arzt gehen musste und für drei Wochen körperlich geschädigt war. Das hat mir aber nicht die Kraft genommen, sondern mich eher noch mehr ermutigt. Am nächsten Tag bin ich dann auch wieder so zur S-Bahn Station gegangen. Ich gebe keinem anderen das Recht, über mich zu entscheiden. Das hat mir auch dahingehend die Augen geöffnet, dass die Bubble Berlin schon da ist, aber dass hier trotzdem genügend Leute leben, die leider nicht so offen sind. Dieser Vorfall war ein großer Wendepunkt in meinem Leben, weil es mich extrem motiviert hat, mich dafür einzusetzen und stark zu machen. Ich will seitdem noch mehr dem Kampf der Diskriminierung auf meine Art begegnen. Das, was ich machen kann, ist stolz darauf zu sein und immer wieder mit Leuten darüber zu reden und sie aufzuklären. Na klar, es ist unendlich ermüdend und stressig, weil ich es mir auch „einfach“ machen könnte, indem ich es nicht nach außen trage und das für mich behalte. Aber ich will es mir nicht einfach machen. Meine Message ist: be proud of yourself and live your life. Das ist etwas, was dir keiner nehmen kann. Und das ist das Schönste, was du für dich selber machen kannst. Das sind meine Erfahrungen. Du musst für deine Rechte kämpfen!